5 Fragen …an gegen-missbrauch e.V.
24/03/2015
Jede Woche ein neues Porträt – das ist das Prinzip unserer Interview-Reihe „5 Fragen an…“. Lernen Sie die von Aktion Hilfe für Kinder langfristig geförderten Projekte besser kennen und erfahren Sie, wie vielfältig die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist. Wir erzählen, wofür die einzelnen Einrichtungen die monatliche Spende von Aktion Hilfe für Kinder verwenden. Viele tolle Angebote für Kinder und Jugendliche werden so erst möglich!
Heute stellen wir unsere fünf Fragen an Ingo Fock von gegen-missbrauch e.V. aus Göttingen:
In welchem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe engagiert ihr euch?
gegen-missbrauch e.V. macht sich bundesweit stark gegen sexualisierte Gewalt. Dabei arbeiten wir geschlechterunabhängig und tatortunabhängig. Das heißt, dass wir für alle da sind: für Mädchen und Jungen, für Männer und Frauen, für Opfer von Missbrauch in der Familie sowie für Opfer von Missbrauch in Institutionen. Darüber hinaus kümmern wir uns aber auch um besorgte Eltern, Pädagogen oder Nachbarn und unterstützen andere Vereine.
Es wird angenommen, dass in Deutschland jedes Jahr 200.000 bis 300.000 Kinder sexuell missbraucht werden. Anders gesagt: Alle zwei Minuten passiert ein sexueller Übergriff auf ein Kind! Eine Altersgrenze nach unten gibt es dabei nicht.
Wir engagieren uns deshalb im Bereich der Prävention genauso wie im Opferschutz. Das Thema in der Öffentlichkeit immer wieder ins Gespräch zu bringen ist eines unserer Ziele, damit Tabus fallen und Missbrauch häufiger zur Anzeige gebracht wird. Wir schulen pädagogisches Personal und erklären, welche Anzeichen für sexuellen Missbrauch es gibt. Polizisten schulen wir zum Umgang mit Kinderpornografie, etwa in der Polizeiakademie in Hannover. Betroffenen bieten wir eine Plattform und stehen ihnen mit Rat und Tat zur Seite.
Ganz praktische Hilfen, die wir Betroffenen anbieten, sind:
• Klärung von Problemen mit Krankenkassen
• Begleitung im Kampf durch den „Amts-Dschungel“
• Vermittlung zu Hilfsangeboten vor Ort
• Begleitung von Betroffenen vor Ort, z.B. zu Beratungsstellen oder Ärzten, zur Polizei, zu Behörden etc.
• schnelle, individuelle, unkomplizierte Hilfe für Betroffene, z.B. die Übernahme von Therapiekosten
Was macht eure Arbeit so besonders?
Eine Besonderheit ist schon die Geschichte, wie der Verein gegen-missbrauch e.V. 2003 überhaupt gegründet wurde. Denn eigentlich hatten wir zu Beginn gar nicht die Absicht, einen Verein zu gründen – das hat sich einfach so verselbstständigt…
Die Gründer von gegen-missbrauch e.V. sind Isabel Betz und Ingo Fock, zwei Menschen, die selbst sexuellen Missbrauch in Kindheit und Jugend erleiden mussten. 2001 haben wir ein Video zum Thema sexueller Missbrauch ins Internet gestellt und damit ungeahnte Reaktionen ausgelöst. Schnell war klar, dass viele Menschen einen Bedarf haben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Seit Februar 2002 ist die Internetseite www.gegen-missbrauch.de online. Auf der Seite bieten wir umfassende Informationen an – sie sind meist der erste Schritt für Opfer, bevor sie sich persönlich an jemanden wenden. Unsere Foren und Chat-Räume haben sich schnell zu Plattformen der Selbsthilfe entwickelt – hier tauschen sich Betroffene in einem geschützten Raum aus und unterstützen sich gegenseitig. Inzwischen wird unsere Internetseite im Jahr rund 1,5 Millionen Mal aufgerufen.
Durch die eigene Betroffenheit wissen wir natürlich ganz genau, wovon wir reden, wenn wir mit anderen Opfern sprechen. Auch in unseren Präventionsveranstaltungen können wir besonders glaubhaft über das Thema Missbrauch sprechen.
Was uns zudem von einigen anderen Einrichtungen unterscheidet ist unsere absolute Offenheit für jeden, der Hilfe sucht. Denn wir sind der Meinung, dass es für ein Opfer schon Überwindung genug ist, sich jemandem anzuvertrauen. Da sollte man nicht abgewiesen werden, etwa wegen des Geschlechts.
Außerdem sind wir bemüht, jeden Tag von 8.00 bis 22.00 Uhr telefonisch erreichbar zu sein. Denn wenn Opfer nur den Anrufbeantworter erreichen, ist ihnen leider nicht geholfen.
Anonymität ist uns besonders wichtig. Der erste Kontakt zu uns passiert deshalb über das Telefon, E-Mail oder private Nachrichten auf Facebook. Dabei braucht niemand, der uns kontaktiert, seine Identität offenzulegen. Wenn es dann im zweiten Schritt gewünscht wird, treffen wir uns gerne zu einem persönlichen Gespräch mit den Betroffenen. Diese Treffen finden meistens an öffentlichen Orten überall in der Bundesrepublik statt.
Manchmal vermitteln wir aber auch einfach zu Fachberatungsstellen in der Nähe der Opfer. Dazu pflegen wir eine Datenbank mit über 4.000 Stellen, an die sich Betroffene in ganz Deutschland wenden können.
Ein besonderes Projekt ist auch unsere Postkarten-Aktion. Betroffene können eine Postkarte gestalten und sie anonym an uns schicken. So setzen sie sich mit dem Erlebten auseinander und können sich öffentlich äußern, ohne dabei den persönlichen Schritt in die Öffentlichkeit gehen zu müssen. Wir organisieren Ausstellungen mit den Postkarten und schaffen so Aufmerksamkeit für Opfer und das Thema insgesamt. Eine Auswahl der eingesandten Postkarten können Sie hier anschauen:
Wofür setzt ihr die monatliche Unterstützung von Aktion Hilfe für Kinder ein?
Ohne die monatliche Unterstützung von Aktion Hilfe für Kinder könnten wir die Kontinuität unserer Arbeit gar nicht gewährleisten. Wir setzen die Gelder also zum einen ganz grundsätzlich für unsere Vereinsarbeit ein. Zum anderen finanzieren wir mithilfe von Aktion Hilfe für Kinder Präventionsprojekte in Schulen, organisieren Veranstaltungen für Schüler, Eltern und Pädagogen und bieten Individualhilfen für einzelne Betroffene an.
Was sind eure Zukunftspläne? Welche größeren Projekte stehen an?
Derzeit steht der komplette Relaunch unserer Internetseite an. Sie soll übersichtlicher werden, sodass relevante Informationen schneller gefunden werden können.
Unser größtes Projekt heißt „Inklusion gegen Missbrauch“. Behinderte Menschen haben ein vielfach erhöhtes Risiko, sexualisierte Gewalt zu erleben. Deshalb wird unsere neue Internetseite auch komplett barrierefrei zugänglich ein. In Leichter Sprache wird es dann z.B. Informationen darüber geben, wie und wo Betroffene Hilfe bekommen können. So etwas gibt es bisher viel zu selten!
Wir wollen Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen die Möglichkeit geben, sich deutschlandweit mit anderen Betroffenen auszutauschen und sich aktiv gegen sexuellen Missbrauch zu engagieren. Wir sind der einzige Verein in Deutschland, der sich diesem Thema bisher so umfassend widmet. Und das, obwohl vermutet wird, dass jedes zweite bis dritte Kind mit Behinderung Opfer von sexualisierter Gewalt ist.
Was sagen andere über euch?
Wir haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer unserer Präventionsveranstaltungen an einer Berufsfachschule für Sozialpädagogik um ein kurzes Feedback gebeten. Hier beispielhaft ein paar Antworten der Berufsfachschüler:
Karina
„Der Vortrag war für mich sehr informativ und abwechslungsreich. Ich konnte viele Dinge erfahren, die von großem Nutzen für meinen weiteren Berufsweg sind. Es war sehr hilfreich einiges über die Präventionsarbeit und den Umgang mit den Betroffenen zu erfahren. Besonders die Anzeichen eines Opfers waren sehr hilfreich für mich. Das Anschauungsmaterial war sorgfältig gewählt, der Kino- und TV-Spot sowie die Postkartenvorschau gaben mir einen Denkanstoß.“
Mirjam
„Es war ein sehr wertvoller Vormittag für mich, weil ich sehr viele wichtige Informationen bekommen habe. Ich finde, dass jeder von uns sich mit dem Thema auseinandersetzen und das auch intensivieren sollte.“
Miriam
„Die Vortragende hat uns das bedrückende Thema Missbrauch sehr kompetent, sachlich, aber auch berührend vermittelt. Dabei ist es ihr gelungen die unterschiedlichen Aspekte alle gut zu beleuchten und viele Berührungsängste abzubauen. Einen extra Dank für die ermutigenden Handlungsanregungen. Dieser Vortrag war echte Medizin gegen das Gefühl von Ohnmacht. Danke!“
Jacqueline
„Ich wusste, dass es ein ernstes Thema ist, aber trotzdem war ich von den Statistiken sehr erschrocken, die gezeigt haben, wie viele Kinder wirklich betroffen sind. Es ist ein ernstes und trauriges Thema und dennoch wurde es sehr souverän herübergebracht. Auch persönliche Fragen hat die Vortragende, so gut sie konnte, beantwortet.“
Florian
„Ein fachlich sehr hörenswerter Vortrag, dem leicht zu folgen war, da er klar und strukturiert dargeboten wurde. Ein großes Lob an die Referentin und an den Verein gegen-missbrauch e.V. für dessen jahrelanges Engagement!“
Hier geht es zur Internetseite mit vielen weiteren Informationen zum Verein gegen-missbrauch e.V.