Wie Kinder Emotionen und Gedanken verstehen und ihr Selbstbewusstsein spielerisch stärken
28/07/2025

Interview mit Juliane Heske, Projektleiterin von „Happy Kids – Yoga & The Work“
Schon im frühen Alter sind Kinder mit einer Vielzahl an Emotionen und Gedanken konfrontiert, die sie oft noch schwer einordnen können. Genau hier setzt das Projekt „Happy Kids – Yoga & The Work“ der Bürgerstiftung Haus Ananta aus Niedersachsen an. Es richtet sich an Vorschulkinder im Alter von fünf bis sechs Jahren und verfolgt das Ziel, ihre emotionale Entwicklung und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Durch die kindgerechte Kombination von Yoga und der Methode „The Work“ nach Byron Katie lernen sie, ihre Gedanken zu hinterfragen, Emotionen besser zu verstehen und mit innerer Ruhe darauf zu reagieren. Als Kursus in einer Kita in Bad Rothenfelde, einer Gemeinde im Landkreis Osnabrück, im März 2025 gestartet, sind aufgrund der großen Nachfrage weitere Projekte dieser Art von Seiten der Bürgerstiftung Haus Ananta geplant. Das für die Teilnehmenden kostenlose Projekt „Happy Kids – Yoga & The Work“ wird vollständig durch Spenden finanziert.
Im Rahmen des diesjährigen Blickpunktthemas „Alles gut? – Was junge Menschen psychisch stark macht“ hat Aktion Hilfe für Kinder e.V. dieses besondere Pilotprojekt mit €5.000 finanziell unterstützt. Wir haben mit der Projektleiterin, Frau Juliane Heske, gesprochen.
Frau Heske, wenn Sie Ihr Projekt in ein Kinderbild malen müssten: Was wäre darauf zu sehen?
Heske: Da sehe ich ganz viel Farbe. Das Bild wäre richtig bunt. Viele Kinder wären zu sehen, fröhlich und in ihrer Kraft. Und es gäbe ganz viel Natur: die Sonne, auf jeden Fall ein Baum, Wasser und eine große Wiese. Ich sehe richtig vor mir, wie die Kinder lachend über das Grün rennen.
Warum „auf jeden Fall“ ein Baum?
Was ich mit Bäumen verbinde, ist vor allem dieses Gefühl von Verwurzelung, geerdet zu sein und ganz in meiner Kraft zu stehen. Die Verbindung zur Natur, zu Mutter Erde, hilft mir, bei mir selbst anzukommen. Je tiefer ich verwurzelt bin, desto weiter kann ich meine Arme ausbreiten, mich frei bewegen und allen Stürmen standhalten, weil der Kern stabil ist. Das ist genau das, worum es in unserem Projekt geht.
Wie läuft eine Kurseinheit in der Kita ab?
In jeder Stunde widmen wir uns einem bestimmten Thema sowie einem übergeordneten Leitthema. Zum Beispiel Achtsamkeit und Dankbarkeit. Der Kursus ist ausgelegt auf acht Teilnehmer:innen, die mit ihren Matten in sternförmiger Anordnung im Kreis sitzen. In der Mitte befinden sich der Yogafrosch, eine Kerze und eine Klangschale.
Zu Beginn jeder Einheit gibt es ein Begrüßungsritual. Wir sprechen gemeinsam einen kleinen Reim, der die Stunde eröffnet. Anschließend besprechen wir, was wir in der vergangenen Woche gemacht haben. Wir wiederholen gemeinsam die Asanas – so werden die körperlichen Übungen oder Haltungen im Yoga genannt – und das Thema der vorherigen Stunde, um das Erlebte in Erinnerung zu rufen.
Dann leiten wir mit einer kurzen Einführung ins neue Thema über zur Yoga-Einheit. Diese beginnt mit unserer „Zaubermelodie“. Es folgt die Namaste-Haltung. Dabei werden die Handflächen vor dem Herzen flach aneinandergelegt, die Finger zeigen nach oben, und die Arme sind entspannt nah am Körper. Daraufhin machen wir den Sonnengruß – in Reimform und immer in der gleichen Abfolge, einmal mit dem rechten, einmal mit dem linken Bein. Danach steigen wir in eine Yoga-Geschichte ein. Die Hauptfiguren sind Plüschhund Bello und Plüschkatze Milou. Beide erleben in jeder Stunde neue Abenteuer. In einer Einheit sind beide zum Beispiel ans Meer gefahren. Die Geschichte drehte sich um Entspannung und Achtsamkeit: Wie klingt das Meeresrauschen, wie riecht Salzwasser? Passend dazu haben wir Yogaübungen wie die Muschel oder den Seestern gemacht. Im Anschluss folgt immer ein Entspannungsteil, in dem die Kinder auf dem Rücken liegen und in einer kurzen Fantasiereise noch einmal das Erlebte Revue passieren lassen. Den Abschluss bildet ein gemeinsames Ritual in Reimform: „Unsere Yoga-Zeit ist jetzt aus, ganz entspannt gehen wir hier raus. Wir atmen ein, wir atmen aus, nehmen Freude mit hinaus.“
Was lernen die Kinder über sich selbst und im Umgang miteinander?
Vor allem lernen sie, offen über ihre Gefühle zu sprechen. In einer unserer Einheiten haben wir ganz bewusst thematisiert, dass alle Gefühle willkommen sind. Wir haben die verschiedenen Gefühle beim Namen genannt. Egal ob Wut, Traurigkeit, Eifersucht oder Neid. Auch die Gefühle, die wir oft ablehnen oder nicht haben wollen, dürfen da sein.
Außerdem haben wir uns in einer Einheit mit ihren Stärken beschäftigt. Die Kinder haben ihre persönlichen Stärken benannt und gemalt. Danach durfte sich jedes Kind einen passenden Spruch aussuchen, wie zum Beispiel „Ich bin wichtig“, „Ich bin stark“ oder „Ich bin mutig“. Diese Karten mit Sprüchen bekommen sie auch mit nach Hause, damit sie sich immer wieder daran erinnern können.
So lernen die Kinder, sich selbst besser kennenzulernen und anzunehmen. Das wirkt sich auch positiv auf das Zusammenleben aus, denn sie vergleichen sich nicht mehr ständig mit anderen. Sie können stolz sagen: „Ich bin wertvoll, so wie ich bin.“
Wie helfen Sie den Kindern konkret dabei, negative Gedanken zu erkennen und durch positive zu ersetzen?
Uns ist es wichtig, den Kindern schon früh ein Verständnis dafür zu geben, wie unsere Realität entsteht: Ganz am Anfang steht ein Gedanke, daraus entsteht ein Gefühl, und aus diesem Gefühl heraus handeln wir – und so gestalten wir unser Leben.
Den Kindern bewusst zu machen, dass hinter negativen Gefühlen immer negative Gedanken stecken, ist ein zentraler Punkt in unserem Projekt. Denn wenn ich mich schlecht fühle, denke ich oft, „Ich bin nicht gut genug“, „Der mag mich nicht“, „Ich schaffe das nicht“ oder „Ich bin wertlos“. Ohne diese Gedanken gäbe es das schlechte Gefühl gar nicht.
Auf spielerische Weise lernen die Kinder bei uns, dass es positive Gedanken gibt, die uns gut fühlen lassen, und negative Gedanken, die uns runterziehen. Wir schauen gemeinsam, welche Gedanken in bestimmten Situationen entstehen und hinterfragen sie.
Ein Beispiel: der Glaubenssatz „Ich mache alles falsch“. Den haben wir im Kursus genau unter die Lupe genommen. Wir haben eine konkrete Situation besprochen. Zum Beispiel, wenn ich etwas kaputt gemacht habe und Mama schimpft. Wenn ich dann nicht denke, „Ich mache alles falsch“, sondern verstehe, dass Fehler passieren dürfen, fühlt sich das ganz anders an.
Wir kehren den Gedanken um: „Ich mache nicht alles falsch.“ Dann dürfen die Kinder erzählen, was sie gut können – Klettern, Malen, Helfen und vieles mehr. So bekommen sie einen ganz neuen Blick auf sich selbst und verstehen, dass Fehler einfach passieren und nicht bedeuten, dass sie etwas falsch machen.
Dieses Bewusstsein möchten wir den Kindern mitgeben, damit sie sich selbst liebevoller begegnen und mutig durchs Leben gehen können.
Welche Veränderungen beobachten Sie bei den Kindern?
Was ich vor allem sehe, ist, dass sich die Kinder mit der Zeit immer mehr öffnen. Sie sprechen zunehmend über sich selbst, ihre Gefühle und Erlebnisse. Zwei Mädchen, die anfangs sehr ängstlich waren und nur zuschauen wollten, sind jetzt voller Begeisterung dabei. Das zeigt, wie wichtig das Umfeld ist. Hier können sich die Kinder wirklich öffnen, ohne Druck oder Zwang.
Erinnern Sie sich an Verhaltensweisen oder Antworten von teilnehmenden Kindern, die Sie besonders inspiriert und positiv berührt haben?
In einer Einheit haben wir über Dankbarkeit gesprochen. Besonders berührend war, wie viele Kinder ihren Dank für ihre Eltern zum Ausdruck gebracht haben, denn ohne sie wären sie ja nicht auf der Welt. Viele haben ihre Mamas und Papas gemalt. Ein Junge war ganz schnell fertig und hatte zwei Kreise gezeichnet. „Ich bin bei Mama im Bauch“, erklärte er. Das war süß.
Wie reagieren die Kinder typischerweise am Ende einer Kurseinheit?
Oft sage ich: „Kinder, ihr müsst jetzt langsam fertig werden, unsere Stunde ist schon vorbei.“ Doch viele malen danach noch weiter, weil sie die Ruhe und das gemeinsame Miteinander so sehr genießen. Diese Momente der Stille und Entspannung sind in der Kita sonst selten, da dort meist viel Trubel und Lärm herrscht. Deshalb schätzen die Kinder diese Auszeit umso mehr. Es fällt mir sehr schwer, sie wieder loszuschicken. Sie freuen sich immer riesig auf die nächste Stunde.
Was wünschen Sie den jungen Teilnehmenden für ihren weiteren Weg?
Glaube nicht alles, was du denkst. Das ist wichtig. Du bist wertvoll. Ganz egal, was um dich herum passiert.
Warum richtet sich Ihr Projekt an Vorschulkinder?
Ich habe selbst eine Tochter, sie ist elf Jahre alt. Dadurch durfte ich sehr genau miterleben, welche Themen Kinder in welchem Alter beschäftigen – wie sich ihre Gedanken- und Gefühlswelt entwickelt. Sätze wie „Ich kann das nicht“, „Ich schaffe das nicht“ oder „Ich bin nicht gut genug“ tauchen oft schon sehr früh auf. Diese Gedanken beginnen bereits im Kita-Alter.
Es sind oft ganz einfache Situationen: Ein anderes Kind malt besser, klettert geschickter oder wirkt selbstbewusster. Und schon beginnt der Vergleich. Hinzu kommt, dass viele Kinder auch von außen ständig verglichen werden. Sätze wie „Schau dir mal deine Schwester an“, „Dein Bruder konnte das in deinem Alter schon“, oder „Warum kannst du das nicht wie deine Freundin?“ kennen wir alle. Diese scheinbar harmlosen Bemerkungen hinterlassen häufig ein Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Ich bin überzeugt: Im Vorschulalter sind Kinder kognitiv so weit, dass sie mit solchen inneren Fragen arbeiten können. Sie können wahrnehmen, was sie fühlen, lernen, es zu benennen, und beginnen, sich mitzuteilen. Vorher ist das noch schwer möglich. Deshalb war meine Idee: So früh wie möglich ansetzen und mit Vorschulkindern beginnen, um ein Bewusstsein für Gedanken, Gefühle und Selbstwert zu schaffen.
Gibt es Pläne zur Ausweitung Ihres Projekts?
Mein Wunsch ist es, dieses Angebot an Schulen zu bringen – zum Beispiel in Form einer AG. Das wäre gut in den Schulalltag integrierbar. AGs bieten dafür den perfekten Rahmen, und das Interesse an Yoga ist groß. Die Nachfrage von Eltern ist enorm.
Gerade für ältere Kinder wäre das eine wertvolle Unterstützung: zur Förderung der Konzentration, des Selbstwertgefühls und im Umgang mit Leistungsdruck und Schulstress. Das Konzept ist so flexibel, dass man es an jede Schulform anpassen kann – ob Grundschule oder weiterführende Schule.
Ich erlebe das gerade selbst mit meiner Tochter. Beim Übergang zur weiterführenden Schule sind viele Kinder überfordert, weinen, haben Angst, es nicht zu schaffen. Es ist einfach zu viel auf einmal. Genau dort könnte man mit AGs ansetzen – niedrigschwellig, aber wirksam.
Langfristig wünsche ich mir, dass dieses Thema ein reguläres Schulfach wird. Denn es betrifft alle Kinder. Nicht nur die, die sich freiwillig für eine AG entscheiden.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was sollte sich an Kitas, Schulen oder in der Gesellschaft verändern, damit Kinder psychisch gestärkt aufwachsen?
Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es, dass der Fokus stärker auf die Stärken der Kinder gelegt wird. Zudem sollte das Thema Selbstwert gefördert werden, damit jedes Kind als wertvoll wahrgenommen wird. Das alles sollte fest in den Schulalltag eingebunden sein, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie sehr unsere Gedanken unser Leben beeinflussen.
Und wie kann die Gesellschaft davon profitieren?
Wenn ich über mich denke, „Ich bin wertvoll, so wie ich bin. Ich kann etwas bewegen“, dann traue ich mir Dinge zu. Dann kann ich Verantwortung übernehmen, für mich sorgen, mir ein gutes Leben gestalten. Aber wenn ich über mich denke, ich sei ein Versager und sei unwichtig, dann wird auch mein Lebensweg von diesen Gedanken geprägt. Oft still und unbemerkt. Vielleicht gehe ich nicht zu einem Bewerbungsgespräch, weil ich mir den Job nicht zutraue.
Viele dieser Überzeugungen entstehen früh, oft im Elternhaus, und wirken unbewusst weiter. Wenn wir das nicht hinterfragen, bleibt dieses Gedankenmuster bestehen und beeinflusst, wie wir uns selbst sehen und was wir uns zutrauen.
Dass Gedanken so eine Kraft haben, erzählt dir niemand in der Schule. Aber es macht einen riesigen Unterschied, ob ich glaube, „Ich bin gut, so wie ich bin“, oder ob ich mich ständig mit anderen vergleiche und an mir zweifle.
Kinder sollten lernen, was sie gut können und nicht nur, wo sie vermeintlich „schlecht“ sind. Das wäre ein riesiger Schritt für ihre persönliche Entwicklung und letztlich für uns alle als Gesellschaft.
Das gesamte Interview mit Juliane Heske vom Projekt „Happy Kids – Yoga & The Work“ lesen Sie in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins „Aktion Aktuell“.

Fotos: Heske
Zur Person: Juliane Heske leitet das Projekt „Happy Kids – Yoga & The Work“ und führt die Kurseinheiten selbst durch. Sie ist ausgebildete (Kinder-)Yogalehrerin und Lehrcoach für „The Work“ nach Byron Katie.