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Antidiskriminierungstipps bei Bewegungsspielen

26/10/2023

Tipps für einen diskriminierungssensiblen Umgang mit Bewegungsspielen mit Kindern ab 6 Jahren

Ein Interview mit unseren TRYZE.mobil-Teamer*innen Franzina Braje und Nico Ingebrand

Mit dem TRYZE.mobil bringt unsere „Stiftung Aktion Hilfe für Kinder“ vielfältige Bewegungsangebote direkt in die Lebenswelt von Kindern zwischen ca. 6 und 12 Jahren. Dabei achten unsere Teamer*innen unter anderem darauf, dass alle Kinder gleich behandelt werden.

Damit sich kein Kind benachteiligt fühlt, ist ein diskriminierungssensibler Umgang mit bestimmten Situationen wichtig. Wie dieser gestaltet werden kann und um welche Situationen es sich hauptsächlich handelt, lesen Sie im nachfolgenden Interview mit unseren TRYZE.mobil-Teamer*innen Franzina Braje und Nico Ingebrand.

Gibt es beliebte und aktuell bei euch nachgefragte Spiele, die aus eurer Sicht aufgrund ihrer Struktur diskriminierend sind?

Franzina: Als ich anfing als Teamer*in mit Kindern zu spielen, war ich erst mal verwundert, dass viele dieser diskriminierenden Spiele aus unserer Kindheit, wie zum Beispiel „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ oder „Chinesische Mauer“, nicht mehr präsent sind. Stattdessen begegnen wir veränderten oder umbenannten Spielen und bauen auch selbst Spiele, an die wir uns erinnern, dementsprechend um.

Nico: Auch wenn die generelle Nachfrage nach Spielen mit diskriminierenden Strukturen in den letzten 10 Jahren auch in anderen Bereichen meiner Jugendarbeit fühlbar zurückgegangen ist, und bei fast allen unseren Aufenthalten auf den verschiedenen Spielplätzen im Rahmen des Projekts TRYZE abwesend war, gab es Ausnahmetage. So kam es eher in kleineren Gruppenkonstellationen zu Forderungen wie „Schweinchen in der Mitte“. Mir ist es, wenn es zu solchen Nachfragen kommt, wichtig, auf die Grundidee des Spiels zurückzukommen und sie neu zu verpacken, um die beschämende Natur des Spiels zu entschärfen.

Neben dem frustrierenden Element der eigenen Verballhornung vor Gleichaltrigen im Falle des Verlierens, verschärft die asymmetrische Anzahl an Gewinnern zu Verlierern erneut die bloßstellende und diskriminierende Natur des Spiels. Dies soll nur einmal aufzeigen, wie viel Potential zur inklusiveren Aufbereitung eine Großzahl an Spieleklassikern noch haben, auch wenn sie zunächst nicht so verwerflich wirken, wie bereits viele bereits komplett verworfene Spiele.

Wie geht ihr mit solchen Anfragen um? Gibt es für die genannten Spiele alternative Abläufe, die Vielfalt und Akzeptanz zulassen?

Nico: Im oben genannten Beispiel „Schweinchen in der Mitte“ gab es die Probleme der Asymmetrie von Gewinnern und Verlieren und der Verballhornung durch den Spielenamen. Also bilden diese beiden Elemente die Variablen, die es zu verändern gab.

Zum einen den Namen in etwas Einfaches zu verändern, was den Spielevorgang beschreibt. Und so war ich mit den ersten Kindern, die danach fragten, bei „Raus aus der Mitte“ angekommen. Zur Asymmetrie haben wir das Spiel einfach in einen Teamwettstreit verwandelt, indem wir die Teams bei Ballwechsel tauschen lassen, anstelle von Einzelpersonen.

Man sollte immer ein offenes Auge für Ausgrenzungsmomente beim Anleiten von Spielen haben, die sich auch immer offensichtlich in der Emotionalität der Kinder zeigt, um bei der Feststellung solche einfachen Abänderungen durchzuführen.

Franzina: Generell haben wir ja außerdem den Luxus, dass unsere Angebote ganz anders inklusiv sein können als zum Beispiel der Schulsportunterricht, der auf Leistungsdruck basiert. Natürlich kann der Wettstreit als Element eines Spiels sehr motivierend und unterhaltsam sein, aber dann sollte auch jedes Kind dabei sein ganz eigenes Skillset einsetzen können, um dadurch in dem Spiel ungefähr die gleichen Chancen zu haben. Denn wir wollen das Selbstvertrauen stärken, anstatt es zu schwächen. Das bedeutet auch, dass wir flexibel mit den verschiedenen körperlichen Bedingungen umgehen, also auch mit Behinderungen und weiter auseinanderliegenden Altersgruppen.

Z. B. spielen wir ein bewegtes „Heiße Kartoffel“-Spiel, in dem die Kinder im Spielfeld nur schnell gehen dürfen, während Rennen verboten ist und zum Ausscheiden führt. Ich persönlich vermeide insgesamt solche Teamsportarten wie Fußball und tanze stattdessen ganz viel mit den Kindern. Das ist ohnehin das Beste, was mir einfällt, wenn es darum geht, ein Körper- und Selbstbewusstsein ganz ungefährlich zu fördern und es lässt sich in viele Spiele einbinden. Der größte Renner ist Stopptanz, danach wird immer gefragt und es funktioniert ganz ohne Leistungsdruck, Grüppchenbildung oder extreme Anforderungen an die Körper.

Welche von euch angebotenen kooperativen Spiele kommen bei den Kindern besonders gut an?

Franzina: Es ist ein Spiel, was nur kooperativ ist, wenn die Kinder sich dazu entscheiden, aber häufig nach einiger Zeit genau das wird, weil sie lernen, dass das Ziel auf die Weise besser zu erreichen ist. Ich kannte es als „Elefant hat den Rücken verbrannt“, andere kennen es als „Pfeffer, Pfeffer, Salz“ und die Kinder heutzutage kennen es meistens als das Spiel mit der Puppe aus der Serie ‚Squid Game‘. Ich habe es umbenannt in „1,2, 3, 4, das Ding bleibt hier“, wobei ein Gegenstand von der vorne stehenden Wächter*in von den Spieler*innen auf der anderen Seite gestohlen und über die Anfangslinie gebracht werden muss, ohne in der Bewegung gesehen zu werden.

Nico: Kinder merken schnell, dass sie sich beim Wettbewerb gegeneinander häufig im Weg stehen und „das Ding“ verlieren, während bei Kooperation miteinander ein häufiger Wechsel der beliebten Wächter*innen-Position stattfindet.

Wie vermeidet ihr Benachteiligungen bei der Einteilung in Gruppen?

Franzina: Wir vermeiden ganz streng Einteilungen wie „Mädchen gegen Junge“ und wir lassen auch nicht das typische Kindheitstrauma zu, dass nach und nach ein Team gewählt wird, bis eine letzte Person übrigbleibt, die sich für immer schlecht deswegen fühlen wird. Eigentlich dürfen sie nur selbst ihre Gruppe wählen, wenn die Fähigkeiten der Gruppe komplett irrelevant für das Spiel bleiben und auch niemand „übrig“ rumsteht.

Nico: Beim Hockey frage ich die Ersten: „Rot oder Gelb?“ und danach drücke ich den Leuten einfach willkürlich oder nach Bedarf einen Schläger in die Hand und los gehts. Oder ich zähle einfach ab.

Was haltet ihr von der von einigen Pädagog*innen gelebten Regel „Mitspielen verbieten verboten“?

Nico: Jeder darf immer und überall mitspielen. Wir versuchen, Kinder zu ermutigen, selbstständig mit unserem Spielzeugangebot oder gemeinschaftlich bei unseren angeleiteten Aktivitäten zu interagieren und versuchen auch bei Zurückhaltung das Eis zu brechen. So pflegen wir eine offene Atmosphäre, in der die Kinder selbst entscheiden, wo sie sein und was sie machen wollen, mit der immer bestehenden Möglichkeit dazuzustoßen und bieten ihnen die Sicherheit des wöchentlich wiederkehrenden Angebots in unserer an den Spielplätzen verbrachten Zeit im Rahmen des Projekts TRYZE.

Franzina: Wir sprechen auch gerne Kinder an, die noch nicht mit uns gespielt haben. Ich persönlich kommuniziere dafür sehr überschwänglich, laut und direkt, um der Schüchternheit und Zurückhaltung des Kindes mit einem starken Impuls zu begegnen und zum Mitmachen zu aktivieren. Sehe ich zum Beispiel ein Kind aus meterweiter Entfernung zuschauen, ruf ich dem entgegen „Komm her, spiel mit!“.

In meinen Augen ist so eine offene Präsenz außerdem notwendig, um für Kinder als auch Eltern zu signalisieren, dass wir keine Bedrohung darstellen. Wenn das Kind sich dann zu keiner angebotenen Aktivität hingezogen fühlt, gibt es immer die Option, eigene Spielvorschläge oder Bewegungswünsche vorzubringen, die wir dann mit den schon anwesenden Kindern gemeinsam umsetzen können, um das dazugestoßene Kind schnell einzubinden.

Habt ihr darüber hinaus Tipps, die ein inklusives und diskriminierungsarmes Spielgeschehen fördern?

Nico: Ein vielseitiges Spielangebot bietet Kindern die Möglichkeit, ihre Kompetenzen zu fordern und bei bevorstehender Überforderung auf eine andere Aktivität umsteigen zu können – ohne Druck von außen. Gleichzeitig entstehen Interessengruppen, mit denen wiederum neue Spielangebote eingeführt werden können, die die Kinder zum Großteil auch selbst fortführen können. So finden immer mehr Kinder Anschluss in ihrer eigenen Nische, auch wenn sie sich davor noch zurückgehalten haben.

Ein sich immer mehr entfaltendes Spielangebot, bei dem es von Stunde zu Stunde mehr Möglichkeiten für die Kinder gibt mitzuspielen, ist bis jetzt das effektivste, um auch möglichst viele Schnittstellen mit den Kindern zu finden und darum eine der wichtigsten inklusiven Methoden für unsere Arbeit an den Spielorten.

Franzina: Die Kinder der Spielplätze im Bremer Quartier Schweizer Viertel brachten mir über die letzten Monate hinweg mehr über Kommunikation und Diversitätssensibilität bei als die meisten Erwachsenen. Häufig sprechen die Kinder dort kein oder bloß wenig Deutsch, sind sehr jung oder auch unaufmerksam.

Eine expressive Mimik, das starke, situationsbedingte Ausschlagen der Stimmlage, fast pantomimische Körpersprache, die spielerisch bewegte Begegnung, das performative Erklären statt bloß verbaler Instruktionen sind Kommunikationsformen, die sich anzulernen sind, um Sprachbarrieren zu überwinden und auch neurodivergenten Kindern gerechter zu werden.

Wichtig ist mir auch, dass wir zwar als Teamer*innen anleiten und Sicherheiten geben, aber darüber hinaus eine starke Hierarchie ablehnen. Die Kinder formen mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und ihrem Verhalten das Spielgeschehen und können sich so nicht nur als Spielfigur, sondern als Erschaffer*innen ihrer Spielwelten betätigen. Ich kann wirklich nicht sagen, wer mehr von wem lernt, denn wie wundervoll ist es, wenn alle so richtig Lust haben, voneinander und miteinander zu lernen.

Die Musik und die Tänze auf dem Spielplatz sind deswegen z. B. auch so kulturell vielfältig wie die Kinder selbst. Außerdem lebe ich dort ganz offen mein Nicht-Binäres Geschlecht und erkläre es nur, wenn es aufkommt, möglichst simpel und ganz selbstverständlich, möglichst beiläufig. Meine geschlechtliche Identität soll nicht problematisiert werden, aber sie soll präsent sein, eine Selbstverständlichkeit, die ohne Scham auskommt. Ich will ein lebender Beweis für die Möglichkeit eines Aufbruchs des binären und heterosexistischen Systems sein für die Kinder, die jetzt schon den Druck geschlechtlicher Normen spüren, von Sexismus betroffen oder queer sind.

Erwachsene trauen Kindern häufig nicht zu, dass diese queere Identitäten verstehen, ohne zu begreifen, dass diese noch offen sind, alles ohne Tabus oder dem tief eingefleischten Fehlglauben an eine „natürliche, biologische Zweigeschlechtlichkeit“ zu lernen. Wir müssen eine selbstverständliche Offenheit, einen sicheren Hafen bieten können für die geschlechtliche Diversität der jüngeren Generation.

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